BGH zur Verjährung des Rückgewähranspruchs aus Insolvenzanfechtung und den Voraussetzungen einer grob fahrlässigen Unkenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs
BGH Urt. v. 27.03.2023 – IX ZR 138/21 (Vorgehend: Brandenburgisches OLG, 7. Zivilsenat Urt. v. 21.07.2021, 7 U 134/19, vorgehend LG Cottbus, 2. Zivilkammer, Urt. v. 04.09.2019 – 2 O 55/18)
Der BGH befasst sich in seiner Entscheidung vom 23.07.2023 (IX ZR 138/21) mit der Frage nach dem Beginn der Frist für die Verjährung eines Rückgewähranspruchs aus Insolvenzanfechtung und sieht sich hier vornehmlich mit der Frage konfrontiert, unter welchen Voraussetzungen von einer grob fahrlässigen Unkenntnis i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB auszugehen ist.
Zum Sachverhalt: Der Kläger machte Insolvenzanfechtungsansprüche gegen die beklagte Hausbank der Schuldnerin bzgl. einer von dieser an die Beklagte abgetretenen Forderung geltend. Die Beklagte gewährte der Schuldnerin ein als Kontokorrent geführtes Darlehen, für welches als Sicherheit u. a. die Abtretung einer von der Schuldnerin beim Finanzamt beantragten Investitionszulage vereinbart war. Im November 2008 gewährte das Finanzamt die Investitionszulage und überwies den Betrag auf das Darlehenskonto der Schuldnerin, wodurch es zu einer Verrechnung mit dem noch offenen Saldo aus dem Kontokorrentverhältnis kam. Auf den am 26.01.2009 gestellten Eigenantrag, kündigte die Beklagte sämtliche mit der Schuldnerin unterhaltenen Geschäftsverbindungen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete die Beklagte im April 2009 ihre Hauptforderung zur Insolvenztabelle an, bezeichnete ihre Hauptforderung mit „Konto… (vormals Konto…) und reichte den Kontokorrentkreditvertrag sowie eine Forderungsberechnung ein, die mit einer „Verrechnung nach VKG/497 BGB“ am 30.01.2009 begann. In der Forderungsanmeldung gab die Beklagte zudem an, die Schuldnerin habe ihr Sicherheiten bestellt, u. a. die „Abtretung Einzelforderungen, Finanzamt/Investitionszulage“.
Mit der Ende 2017 beim LG Cottbus erhobenen Klage forderte der Kläger den auf das Kontokorrentkonto als Investitionszulage gezahlten Betrag von der Beklagten zurück. Diese erhob daraufhin die Einrede der Verjährung. Das LG verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Auf die Berufung der Beklagten hatte das OLG Brandenburg das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage wegen Verjährung abgewiesen – der Rückforderungsanspruch sei inzwischen wegen grob fahrlässiger Unkenntnis des Anfechtungsgrundes durch Ablauf der regelmäßigen Drei-Jahres-Frist (§§ 195, 199 BGB, § 146 Abs. 1 InsO) verjährt. Einem Insolvenzverwalter sei grobe Fahrlässigkeit u. a. dann vorzuwerfen, wenn er einen sich aufdrängenden Verdacht nicht nachprüfe oder offensichtliche, erfolgversprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutze. Auf dieser Grundlage seien dem Kläger zwei schwerwiegende Unterlassungen vorzuhalten: So hätte er die Forderungsanmeldung gründlicher auswerten und sich einen besseren Überblick über die Bewegungen auf allen Bankkonten im Zeitraum der letzten drei Monate vor Insolvenzantragstellung verschaffen müssen. Es gehöre zu den grundlegenden Sorgfaltsanforderungen an den Insolvenzverwalter, die Ein- und Auszahlungen auf den Bankkonten des Schuldners in den Monaten vor der Antragstellung vollständig aufzuklären und gründlich auszuwerten. Folglich hätte der Kläger spätestens im Jahr 2010 die Kontoauszüge zu dem fraglichen Konto anfordern und weitere Ermittlungen zu der im Kontokorrentkreditvertrag erwähnten Investitionszulage vornehmen müssen. Denn aus der Forderungsanmeldung der Beklagten hätten sich Hinweise sowohl auf die Existenz des streitbefangenen Kontos als auch auf einen noch näher zu untersuchenden Vorgang im Zusammenhang mit der Investitionszulage ergeben.
Diese Rechtsprechungslinie war nach Auffassung des BGH zu extensiv:
Ein Insolvenzverwalter habe zwar „die ihm bekannten Konten der Hausbank eines Schuldners innerhalb eines angemessenen Zeitraums darauf zu überprüfen, ob ihm die Kontounterlagen vollständig vorliegen und die Kontounterlagen Anhaltspunkte für anfechtungsrelevante Vorgänge enthalten.“ Eine grob fahrlässige Unkenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs setze allerdings voraus, "dass der Insolvenzverwalter seine Ermittlungspflichten in besonders schwerer, auch subjektiv vorwerfbarer Weise vernachlässigt hat". Bezüglich des für die Anfechtung relevanten Drei-Monats-Zeitraums liege grundsätzlich eine grob fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzverwalters vor, wenn dieser „die Überprüfung der ihm bekannten von der Hausbank des Schuldners geführten Konten für mehr als drei Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterlässt und sich ihm aufgrund der aus den Kontounterlagen erkennbaren Zahlungsvorgänge und der ihm bekannten sonstigen Tatsachen weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen.“
Die wesentlichen Inhalte der BGH-Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die wesentlichen Inhalte der BGH-Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Der Insolvenzverwalter muss nach Insolvenzeröffnung umfassend und unverzüglich die Aussichten einer umfassenden Befriedigung der Gläubiger prüfen und daher insbesondere auch Anfechtungssachverhalte prüfen.
a. Innerhalb welcher Fristen der Insolvenzverwalter diese Prüfung durchführen muss, ist eine Frage der Umstände des Einzelfalls
- Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Verwalter nach Insolvenzeröffnung vordringliche Aufgaben zuerst erledigen darf und muss.
- Zudem ist ein abgestuftes Vorgehen gerechtfertigt (zunächst Zahlungen im 1-Monats-Zeitraum, insbesondere an institutionelle Gläubiger, sodann Ausweitung der Prüfung auf Zahlungen in den letzten drei Monaten und anschließend immer weiter in der Prüfung zeitlich zurückgehend).
b. Im Regelfall ist spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Grenze der Angemessenheit erreicht.
- Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann der Insolvenzverwalter auch gehalten sein, die vorgenannten Ermittlungsmaßnahmen schneller vorzunehmen.
2. Nach Ablauf dieser Frist droht ggf. eine Haftung nach § 60 InsO wg. grob fahrlässiger Unkenntnis.
a. Die Würdigung der Umstände des Einzelfalls determiniert damit den Beginn der Verjährungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO i. V. m. § 199 Abs. 1 BGB.
b. Im Hinblick darauf setzt der Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB bei einer versäumten Aufklärung von anfechtbaren Vorgängen auf Konten des Schuldners voraus, dass der Verwalter seine Ermittlungspflichten in zweierlei Hinsicht - sowohl in Bezug auf den Zahlungsvorgang selbst als auch hinsichtlich der weiteren anspruchsbegründenden Umstände - in besonderem Maße verletzt hat. Nur dann kann für den Anfechtungsanspruch insgesamt eine grob fahrlässige Unkenntnis angenommen werden.
3. Für die Prüfungshandlungen hat er entsprechendes Personal vorzuhalten oder Dritte als Dienstleister zu beauftragen.